Maria Magdalena
// Bürgerliches Trauerspiel von Friedrich Hebbel, P.: 21. Januar 2023, Theater Koblenz
Als Klara nach Jahren ihre Jugendliebe wiedersieht, rast ihr Verlobter Leonhard vor Eifersucht und zwingt Klara als Bekenntnis zu ihm, mit ihm zu schlafen. Sie wird schwanger. Als ihr Bruder Karl unter dem Vorwurf eines Diebstahls verhaftet wird, stirbt die Mutter am Schock und der Vater, Tischlermeister Anton, fürchtet um die Ehre der Familie. Er schwört, sich das Leben zu nehmen, sollte Klara jemals Schande über die Familie bringen und seine Ehre beschmutzen. Als Leonhard erfährt, dass Klaras Vater die Mitgift der Tochter aus Wohltätigkeit weggegeben hat, nutzt er die Verhaftung ihres Bruders als Vorwand, um die Verlobung zu lösen. Als sich herausstellt, dass Karl zu Unrecht verdächtigt wurde, versucht Klara vergeblich, Leonhard zur Heirat zu überreden. Nun steht Klara vor der Entscheidung, sich und ihr ungeborenes Kind oder das Leben ihres Vaters zu retten.
“Maria Magdalena” entstand 1843 und gilt als das letzte deutsche bürgerliche Trauerspiel; es spielt, anders als die Vorläufer seiner Gattung, komplett im kleinbürgerlichen Milieu. Den Titel, der auf die Bibelgestalt Maria Magdalena verweist, schlug der Verleger vor. Mit dem von Hebbel gewählten Titel “Klara” hielt der Verlag das Stück für schwer verkäuflich.
Mit: Ksch. Tatjana Hölbing, Christof Maria Kaiser, Florian Mania/Jona Mues, David Prosenc, Reinhard Riecke, Jan Sabo, Viktoria Schreiber, Lukas Winterberger
Regie: Johanna Hasse
Bühne: Lilith-Marie Cremer
Kostüme: Marie-Luise Otto
Musik: Christoph M. Hamann
Dramaturgie: Caro Thum
Licht: Christofer Zirngibl
// Presse
Am Theater Koblenz muss Klara in Friedrich Hebbels “Maria Magdalena” nicht sterben. Entgegen des Originals entzieht sich die vorehelich geschwängerte junge Frau hier der vom väterlichen Moralkodex aufgetürmten Zwangslage durch Flucht.
Wer nun wieder auf musealer Werktreue beharrt, sei getröstet: Regisseurin Johanna Hasse hat den veränderten Schluss von Hebbels “bürgerlichem Trauerspiel” aus dem Jahr 1846 nicht aus brachialen Veränderungen des Urtextes abgeleitet. Vielmehr machen ihn nur kleine Kürzungen stimmig möglich. Und der nun in seiner übermoralischen Verbitterung bis Versteinerung einsam zurückbleibende Vater, Tischlermeister Anton (Reinhard Riecke), kann den knapp zweistündigen Abend noch immer schlüssig beenden mit dem Hebbel’schen Finalsatz: “Ich verstehe die Welt nicht mehr.”
Überhaupt kennzeichnet ein eher konservativer Umgang mit dem Stück die Inszenierung. Die farblich zurückhaltenden Kostüme von Marie-Luise Otto verorten das Geschehen zwar nahe an der Gegenwart, lassen aber auch das vorige Jahrhundert aufscheinen. Lilith-Marie Cremers Einheitsbühne eines aus hellen Holzlatten gezimmerten leeren Gitterkastens lässt sich als Sinnbild für das Eingesperrtsein in fixen Gesellschaftsnormen deuten.
Die ganze erste Stunde ist extrem zurückgenommenes Sprechtheater. Die Zuseher sind gut beraten, genau hinzuschauen und hinzuhören, denn allerhand Wichtiges geschieht hier in kleinen Formen des Redens und der Körpergestik – die eingebettet sind in ein fast eintöniges Dahinströmen des Geschehens.
Ist das gut? Darüber kann man geteilter Meinung sein. Für die zwei Frauen und fünf Männer auf der Bühne ist es jedenfalls eine Herausforderung, ihre Rollencharakteristika und Handlungsbeiträge im Ausdruck so stark zu reduzieren, ohne langweilig zu werden.
Manchem Besucher mag unter anderem die schiere Beiläufigkeit gar zu trocken sein, mit der Klaras Mutter (Tatjana Hölbing) auf die Nachricht von der Verhaftung des Sohnes Karl wegen vermeintlichen Diebstahls einem Herzschlag erliegt. Dieser Karl wird von Lukas Winterberger als lebenslustiger Luftikus gespielt, der notgedrungen schwer arbeitet, um vergnügt leben zu können, während der Vater harte Arbeit als Bedingung für ein gottgefällig ehrenhaftes Dasein versteht.
Es ist Viktoria Schreiber in der Klara-Rolle, die zu Beginn der zweiten Stunde Vehemenz ins Spiel bringt. Da begreift sie ihr ganzes tragisches Dilemma: Der von ihrer Schwangerschaft nichts ahnende Vater schwört, sich umzubringen, sollte nach ihrem Bruder Karl auch noch sie ihm “Schande machen”. Jener Leonhard, der sie aus Eifersucht zum Beischlaf drängte, will sie nicht mehr heiraten, seit er weiß, dass sich die erhoffte Mitgift in Staub aufgelöst hat. Nun entfaltet das auf dem Rücken der Frau ausgetragene Trauerspiel der bürgerlichen Moral seine volle zerstörerische Kraft in einer dramatischen Soloszene, die Klara verzweifelt durch mehrere Suizidansätze toben lässt.
Vorübergehend rettet sie eine nachfolgende, völlig konträre Szene, die vielleicht auch die schönste des Abends ist: Wiederbegegnung mit ihrer Jugendliebe. Jan Sabo gibt den Sekretär genannten jungen Mann als offenherzigen, liebenswerten, mitfühlenden Romantiker – also das genaue Gegenteil des kaltherzigen, berechnenden, verschlagenen Leonhard von Florian Mania. In Erinnerung an gemeinsame glückliche Tage spielen Klara und der Sekretär noch einmal ausgelassen ihre Kindheitsspiele nach und gestehen sich bald ihre Liebe. Er macht ihr einen Heiratsantrag – tritt aber mit den Worten “Darüber kann kein Mann weg” drei Schritte zurück, als sie ihm ihre Schwangerschaft offenbart.
Erneut scheint für Klara der einzige Ausweg in den Tod zu führen. Und wieder einmal sitzt der Zuschauer vor diesem alten Stück, spürt die Hebbel’sche Klage über die Herrschaft der bigotten Männermoral seiner Zeit, denkt dabei an ihre teils bis heute noch wirksamen Aspekte und zugleich an die seither stattgehabten wie andauernden Frauenbewegungen dagegen. Insofern das Stück aufzeigt, was war und nicht mehr sein dürfte, ist es auch als Beitrag zur Diskussion aktueller Entwicklungen noch immer spielbar. Rhein-Zeitung, 23. Januar 2023