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Malala – Mädchen mit Buch

// Nick Wood, P.: 15. Januar 2022, Theater der Altmark Stendal

Ein Autor sucht ein Thema, findet einen Titel und fragt sich: „Wie komme ich rein in den Stoff?“ Google ist für ihn nicht die Antwort. So beschließt er, selbst Fragen zu stellen und offen zu sein. Doch während der Recherche über die junge pakistanische Aktivistin Malala Yousafzai, dem Mädchen mit Buch, sieht er sich konfrontiert mit eigenen Klischees und Vorurteilen. Doch wer ist Malala? Mit 11 Jahren schreibt sie einen Blog auf der Webseite der BBC. Sie berichtet über ihren Alltag in Pakistan unter der Herrschaft der Taliban und setzt sich für das Recht auf schulische Bildung für Mädchen und Frauen ein. Als sie 15 Jahre alt ist, verüben Kämpfer der Taliban einen Mordanschlag auf sie, den sie knapp überlebt. Doch Malala lässt sich nicht einschüchtern und kämpft weiter für die, deren Stimmen nicht gehört werden sollen. Sie spricht vor der UNO und erhält 2014 als jüngste Preisträgerin in der Geschichte den Friedensnobelpreis. In ihrer Heimat Pakistan wird sie weiterhin mit dem Tode bedroht.

Nick Wood nähert sich der Lebensgeschichte des pakistanischen Mädchens Malala aus westlicher Perspektive. Dabei entsteht ein packender Theatermonolog, der verdeutlicht, wie das Handeln eines einzelnen Menschen unsere Wahrnehmung der Welt beeinflussen und verändern kann.

Mit: Matthias Hinz
Regie: Johanna Hasse
Ausstattung: Anne Laubner
Dramaturgie: Sylvia Martin

// Presse

Schade, dass Corona sich nach wie vor negativ auf unsere Kultur auswirkt, denn ohne die Pandemie wäre die Premiere von „Malala“ im Kaisersaal in Stendal sicherlich noch voller oder wäre in größerem Rahmen möglich gewesen. Wer nicht dabei war, hat hervorragendes zeitgenössisches Monologtheater verpasst.
„Malala – Mädchen mit Buch“ des britischen Journalisten und Theaterautoren Nick Wood erzählt die Geschichte der jungen Pakistani Malala Yousafzai, die bereits mit elf Jahren einen Blog über ihr Leben auf der Webseite des englischen Senders BBC schrieb. Sie handelt nach dem Motto: „Wenn die Erwachsenen schweigen, müssen die Kinder reden!“
Malala beschreibt ihren Alltag unter dem Terrorregime der Taliban, die im Land und auch im Swat-Tal – der Heimat ihrer Familie – wieder ein streng fundamentales, religiöses Leben nach dem Koran erzwingen wollten.
Für die Fundamentalisten gehört dazu auch: Schulverbot für pakistanische Mädchen und Frauen. Gegen dieses Bildungsverbot schreibt Malala an und provoziert die Taliban allein schon mit Fragen wie: „Wo steht denn im Koran, dass Mädchen und Frauen nicht in die Schule gehen dürfen?“ oder „Warum sollen nur Jungen Bildung bekommen?“
Die Taliban fühlen sich von Malala derart provoziert, dass sie beschließen, die junge Frau zu töten. Normalerweise begehen islamistische Selbstmordattentäter und Mörder ihre Schreckenstaten am Freitag. Das ist der Tag der Gebete. Nach den Vorstellungen der radikalen Gläubigen ist man an diesem Tag dem Paradies besonders nahe – ideal also für einen Anschlag.
Dieses ungeschriebene Gesetz kennt auch Malala. Deshalb macht sie sich am 9. Oktober 2012 – einem Dienstag – keine Sorgen, als sie mit dem Schulbus nach dem Unterricht wieder nach Hause fährt. Eine verhängnisvolle Einschätzung: Der Attentäter, ein 23-jähriger Chemiestudent, feuert mit einem Gewehr auf die mutige Schülerin und verletzt sie und zwei ihrer Freundinnen. Malala wird so schwer verletzt, dass sie wenige Tage später nach Großbritannien in eine Spezialklinik der britischen Armee ausgeflogen wird.
Malalas Geschichte nimmt der Schriftsteller Nick Wood zum Anlass, um einen Autor zum Nachdenken über das junge Mädchen zu bringen. Soll dieser doch ein Theaterstück über Malalas Leben schreiben. Doch Woods Autor versagt, denn alles, was auch nur ansatzweise mit dem Leben der mutigen Kämpferin für Schule und Bildung zusammenhängt, erscheint dem Autor zu wichtig, als dass es in dem Stück fehlen dürfte. Damit nicht genug, der fiktive Autor, übrigens hervorragend gespielt von Matthias Hinz, versucht, aus seiner sicheren westlichen Position heraus, zu beurteilen, welches Wagnis die Pakistani Malala eigentlich eingegangen ist. Auf der Bühne erkennt Matthias Hinz als Autor mit nahezu erschreckender Nüchternheit und ohne den Hauch einer Emotion, dass „er diesen Mut wohl nicht aufbringen würde“.
Das Stück ist minimalistisch inszeniert: Ein Schreibtisch, ein PC, Unterlagen. Eine graue Decke „aus dem Swat-Tal“, wie Matthias Hinz dem Publikum überzeugend erklärt, auf der Fotos, Texte und kurze Videos aus dem Leben von Malala eingespielt werden.
Das reicht aus, uns in die so fremde Welt in Pakistan und der radikalen Taliban eintauchen zu lassen. Das Theaterstück zieht die meiste Kraft aus dem Monolog über das Leben von Malala. Und hier nimmt uns Matthias Hinz mit, indem er Fragen stellt, nach Antworten sucht oder über seine erste Begegnung mit dem Islam an einem Infostand berichtet. Doch er scheitert schon an der Frage „Warum islamistische Frauen verhüllt sein müssen“, an der Logik des Gläubigen, der ihm erklärt, dass weibliche Wesen schon mit dem Höllenfeuer bestraft werden, wenn sie sich nicht verhüllen.
„Höllenfeuer für leichte Sommerkleidung?“, fragt er ins Publikum und gibt deutlich zu verstehen, dass hier die Toleranzgrenze für westliche Mitteleuropäer mehr als nur minimal überschritten ist. Überhaupt, dieses Aufeinanderprallen völlig unterschiedlicher Kulturen und die damit verbundenen Vorurteile sind für Schauspieler Hinz der perfekte Ansatz, den Zuschauern den Spiegel vorzuhalten. Das gipfelt in der Aussage: „Ich bin wirklich für Vielfalt. Aber wäre die Welt nicht besser, wenn alle denken wie ich?“
Ein Satz, der hängenbleibt und nachdenklich stimmt. Aber eben in die andere Richtung – für eine tolerantere, multikulturelle Gesellschaft. Dieser idealistische Ansatz scheitert eben schon an der brutalen Realität islamistischer Radikaler, die alles mit ihrem natürlichen Feind – den Amerikanern – begründen. Auch die Schüsse auf Malala. Die letztlich zu einer bewegenden Rede der jungen Kämpferin vor den Vereinten Nationen führen.
Eine Rede, die in Auszügen im Kaisersaal zu sehen ist. Eine Rede, die die Rechte der Frauen als Grundrecht einfordert. Kaum zu glauben: In Pakistan wurde das Frauenwahlrecht bereits 1956 eingeführt, acht Jahre nach Frankreich, aber 15 Jahre vor der Schweiz und 18 Jahre vor Portugal. So viel zur fortschrittlichen, westlichen Welt.
Malalas Worte rühren das Premierenpublikum zu Herzen. Kaum ist die Rede vom Schirm verschwunden, taucht Matthias Hinz aus dem Hintergrund auf: „Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.“ Einen Moment herrscht tiefe Stille, dann bricht begeisterter Applaus aus. Volksstimme, 18. Januar 2022