Leben in der Smartbox
// Performance, UA: 17. Februar 2011, Zagreus Projekt Berlin, in Kooperation mit Zagreus Projekt Kochkunst-Galerie Berlin. Gefördert von der Allianz Kulturnetz und der Stiftung Fraueninitiative, mit freundlicher Unterstützung von Förderband Kulturinitiative Berlin und Theaterhaus Mitte.
Gastspiele: Teamtheater München 2011, Studio Theater Stuttgart 2013
LEBEN IN DER SMARTBOX ist unentfremdete Authentizität, Leben jenseits gesellschaftlicher Zwänge, privates Glücksrefugium, immer ehrlich und praktisch. Als Vertreterinnen eines Unternehmens, das seine Produkte im Direktvertrieb anbietet, führen die beiden Schauspielerinnen Agnes Burger und Sarina Schnizer die Zuschauer ein in die fabelhafte Gefühls- und Geschäftswelt von Erlebnispartys im privaten Zuhause. Die Beraterinnen stehen im Dienst eines Unternehmens, das Küchen- und Haushaltsartikel, Dessous und andere reizvolle Produkte direkt in die Wohnzimmer seiner Kundinnen und Kunden liefert. Entspanntes Shopping in privater Umgebung, lautet ihr Motto. Damit versprechen sie Glück und Zufriedenheit für jeden Gast. Schließlich ist alles nur eine Frage der richtigen Organisation und der richtigen Verpackung. Beides zu erlangen, die Frage überhaupt, was richtig, was falsch ist, erfordert harte Arbeit von den Frauen. Sie kämpfen um die glaubwürdigste Identität, die beeindruckendste Performance und die erfolgreichste Marketingstrategie. Und bei all dem darf natürlich auch das mütterliche Prinzip nicht außer Acht gelassen werden. Denn zu einer echten Erlebnisparty gehört nicht nur das Vorführen der Produkte sondern unbedingt ein gemeinsames Essen: Es gibt Eintopf für die Gäste. In Echtzeit gekocht, live per Videoprojektion aus dem Kochtopf übertragen. Ein riesiger Kochtopf, in den alles reinkommt. Eintopf für alle!
LEBEN IN DER SMARTBOX ist eine Recherche über echte Verstellung jenseits von Ökonomisierung, Warenstatus und Erfolgsfaktor. In der Synthese von Performance, Installation und Kochkunst reflektiert LEBEN IN DER SMARTBOX mit Witz und Ironie über die Möglichkeit von Individualität, Selbstbestimmung und Glück in der heutigen Dienstleistungsgesellschaft, was zu der Frage nach Unterschieden und Gemeinsamkeiten von Mensch und Plastikware führt und mit welchen Mitteln sich beides am lukrativsten vermarkten lässt. Plastik für alle!
Mit: Agnes Burger, Sarina Schnizer
Regie & Text: Johanna Hasse
Raum & Kostüme: Friederike Baer
Dramaturgie: Thomas Schick
// Presse
Wäre das Leben doch eine goldene Geschenkbox, voller stapelbarer Plastikdosen oder Behälter namens Fix-Mix, die Alltag und Zuhause übersichtlich und handhabbar machen, wo zwischen Dessous und Gleitgel auch gut sitzende Identitätskostüme bereit liegen, damit Glück und Erfüllung nichts im Weg steht, und wo Abba-Songs authentisches Gefühl garantieren. Die Zagreus-Galerie, in der sonst Konzeptkunst auf Kochkunst trifft, ist in eine solche Box voll praktischer Produkte verwandelt. Zwei Beraterinnen in bester Tele-Shopping-Laune begrüßen die Gäste zur Erlebnisparty, servieren gratis Getränke und ein Drei-Gänge-Menü. Was als schmissige Tupperparty-Parodie beginnt, wächst sich zum Diskurstheater in Pollesch-Manier aus. In hysterischen Sprechsalven erörtern die Damen weibliche Ambivalenz zwischen Selbstverwirklichung und Selbstunterwerfung in der durchökonomisierten Servicegesellschaft, spulen bis zur Erschöpfung Verkaufsrhetorik ab, sehnen sich nach “Re-Gendering” – der Zuflucht bei altgedienten Rollenmustern – und demonstrieren die Renaissance des Korsetts. Bekannter Stoff wird neu variiert und mit Speis und Trank garniert. So gewinnt das Spektakel eine sinnliche und semantische Extra-Dimension – schließlich steckt Essen unweigerlich voller Gender-Fragen. zitty Berlin, Heft 6/2011