Drei Engel für Bert
// Eine Recherche über den guten Menschen, UA: 16. März 2017, Theater unterm Dach Berlin. Gefördert durch das Bezirksamt Pankow von Berlin, Amt für Weiterbildung und Kultur, und Allianz Kulturnetz.
Gastspiel: Monsun Theater Hamburg 2018
Brechts “Der gute Mensch von Sezuan” trifft die US-amerikanische 1970er Jahre Krimiserie “Drei Engel für Charlie“: Drei Frauen haben eine Mission: Den guten Menschen zu finden. Doch was ist „das Gute“? Was macht einen guten Menschen aus? Die drei begeben sich auf die Suche. Über einen Lautsprecher bekommen sie Anweisungen von ihrem mysteriösen Chef Bert, dem sie nie begegnet sind. „Die Welt kann bleiben, wie sie ist, wenn genügend gute Menschen gefunden werden, die ein menschenwürdiges Dasein leben können.“ Das setzt sie erheblich unter Druck.
DREI ENGEL FÜR BERT ist eine Recherche zum Gut-Zustand von heute zwischen Ideal und Wirklichkeit. Gegenwärtig wird ein gemeinschaftliches, solidarisches und gleichberechtigtes Miteinander nicht zuletzt durch Protektionismus, Abschottung und Rechtspopulismus erschüttert. Vor diesem aktuellen gesellschaftlichen Hintergrund untersucht DREI ENGEL FÜR BERT mit Texten, Musik und Gesang die Haltbarkeit von Normen, Geboten und Gesetzen.
Mit: Birte Flint, Judith Mauthe, Melissa Anna Schmidt
Regie: Johanna Hasse
Bühne & Licht: Thomas Schick
Produktionsleitung: Eva-Karen Tittmann
// Presse
Um es vorweg zu sagen: Es gibt ihn, den guten Menschen. Aber doch niemals in reinster Form. Zumal, wenn mehr als fünfzig Gebote gelten sollen. Du lieber Himmel, und das auf Erden! Dem kann keiner gerecht werden, weil sie einfach jeden überrollen. Also wird auch kein Mensch allein die Welt retten können. “Drei Engel für Bert” sollen ihn aber bei der “Recherche über den guten Menschen” finden. So ist Berts Auftrag in Johanna Hasses Inszenierung im Theater unterm Dach.
Die Engel – Birte Flint, Judith Mauthe, Melissa Anna Schmidt – würden für Bert natürlich gern jeden Auftrag erfüllen. Von Optimismus werden sie bei diesem allerdings nicht geplagt. Dazu kommt, dass die Verständigung mit dem Chef schlecht ist. Es gibt nur seine Stimme (Thomas Georgi) aus dem Lautsprecher, und der lässt mehr krrrrrrrrrrrrr als alles andere von sich hören. Jedenfalls keineswegs deutlich wie beim Krimivorbild “Drei Engel für Charlie”. Die Entfernung zu dem sich bedeckt haltenden Bert – es ist ja wohl klar, wer damit gemeint ist, wenn man an “Der gute Mensch von Sezuan” denkt -, ist eben beträchtlich.
“Der Sieg der Vernunft kann nur der Sieg der Vernünftigen sein”, schnarrt Bert. Die Engel werden immer ratloser. Wer sind denn jetzt wieder Puntila und Matti? Alles sehr interpretationsfähig. Auf ihre Forderungen an einzelne Menschen, für die die Schauspielerinnen abwechselnd die Rollen der Befragten übernehmen, hört man immer wieder: “Das schaffe ich nicht.” Bert zitiert auch Adorno: “Es gibt kein richtiges Leben im falschen.” Sie wolle doch alles richtig machen, kaufe Bio-Produkte, trenne Müll und alles das, verteidigt sich eine Schauspielerin in der Rolle einer Frau aus Prenzlauer Berg. Was denn noch? Die Zeit der 68er sei doch wohl vorbei. Und während sie ihre guten Taten aufzählt, wird der Frau komplette Kapitalismuskritik entgegengeschleudert.
Im Brechtschen Sinne reihen sich die Szenen bis hin zur heute gar nicht mehr undenkbaren grotesken Prügelei auf höchster Politikerebene in einer Show aneinander, stehen für sich, ohne sich zu verbinden. Das ist von Johanna Hasse durchdacht, konzentriert verarbeitet. Alles endet im Vergleich von Fakten in Deutschland und deutscher Verfassung. Dieses Armutszeugnis können die Zuschauer mit nach Hause nehmen. Dazu die Aussicht auf paradiesische Zustände am Sankt-Nimmerleins-Tag als Belohnung für Güte. Neues Deutschland, 6. April 2017
Das Bühnenbild ist minimalistisch: An der hinteren Wand stehen lediglich drei weiße Stoffschränke und vier Sitzwürfel. Aus diesen Schränken treten nun die “Drei Engel für Bert”: Birte, Judith und Melissa. Bert, ein Unbekannter, hat ihnen die Aufgabe gegeben, nach einem guten Menschen zu suchen. Nur einen einzigen guten Menschen müssen sie finden. Dann sei es möglich, dass die Welt bleibt wie sie ist. Das Stück besteht aus Tanzeinlagen, Gesang und Dialogen – Ideengeber ist die erfolgreiche US-Film- und TV-Serie “Drei Engel für Charlie”. Ob die Engel Erfolg haben bei ihrer Mission?
Zunächst einmal diskutieren sie über die Attribute, die einen guten Menschen ausmachen. Eine zählt dann die zehn Gebote auf: “Du sollst nicht töten, du sollst nicht fremdgehen, du sollst Vater und Mutter ehren…” Doch das allein reiche nicht. Es wird verlangt, tolerant, liebevoll, pünktlich und effektiv zu sein. In Anbetracht der grausamen Welt da draußen erscheint es den Engeln unmöglich, eine Person zu finden, die all diese Voraussetzungen erfüllen kann.
Über einen Lautsprecher am Rand der Bühne wird jetzt Bert zugeschaltet. Er fragt nach dem Stand der Recherche. Melissa, Birte und Judith berichten, sie reflektieren dabei ihr eigenes Verhalten, wiegen ihre Fehler mit den Versuchen auf, etwas Gutes zu tun. “Ich habe bei Primark eingekauft, aber dafür fahre ich immer mit dem Rad.” Die Bekleidungskette wird von einigen wegen der Billiglohn-Produktion kritisiert.
Was muss man denn nun tun, um ein gutes Leben zu führen? Reicht es, Bio-Eier zu kaufen, oder sollte man auch auf die Plastiktüten verzichten? “Wen soll ich zuerst retten, die Tiere oder die Flüchtlinge? Ich bin überfordert.” lautet ein Statement. Ist es möglich, Konsum und Genuss zu vereinen? Judith denkt, dass es funktioniert. Vergnügen und Verantwortung schlössen sich nicht aus. “Endlich sind die 68er mit ihrem Haferschleim und Strickpullis vorbei”, sagt sie. Melissa ist anderer Meinung: “Tritt einer Partei bei, beweg’ wirklich was.” Alles andere sei doch alles nur Feelgood-Aktivismus. Im Hintergrund macht Birte Yoga.
Es folgt eine Szene, in der die Populisten der Gegenwart im Boxring gegeneinander antreten: Donald Trump gegen Wladimir Putin, Geert Wilders gegen Jaroslaw Kaczynski, Marine Le Pen gegen Victor Orban und zum Schluss Norbert Hofer gegen Frauke Petry. Was ist nur mit der Welt passiert? Bert meldet sich ein letztes Mal, verabschiedet sich. Die Engel werden es schon noch schaffen, die Mission zu erfüllen. Nun fantasieren sie über die Lösung der globalen Probleme. “Was, wenn sich alle Politiker der Welt an einen Tisch setzen und die Wirtschaft gerecht unter allen Ländern aufteilen. Also eine Planwirtschaft, nur, dass sie diesmal funktioniert.” “Man müsste die Menschen ausrotten”, sagt Judith. “Oder auf einem Bauernhof in Brandenburg wohnen, Selbstversorgung”, meint Birte.
In der letzten Szene stellen die Engel Gesetz und Realität gegenüber. Sklaverei sei verboten, doch es gebe menschenunwürdige Fabrikarbeit, Prostitution, Menschenhandel. Die Würde des Menschen ist unantastbar, und doch gebe es Angriffe auf Flüchtlingsheime. Die Moral des Stückes: Es ist noch viel zu tun. Tagesspiegel, 23. März 2017