Illusionen einer Ehe
// Eric Assous, P.: 1. Juni 2012, Mephisto & Co Konstanz
Jeanne und Maxime sind seit Jahren verheiratet und ihr ehelicher Umgang hat etwas Abgeklärtes bekommen. Da hat sich Jeanne in den Kopf gesetzt, die Anzahl der ausserehelichen Betätigungen ihres Gatten zu erfahren. Maxime gibt schliesslich zwölf, meist sehr kurzlebige Begegnungen zu. Im Gegenzug gesteht Jeanne einen Seitensprung, der aber immerhin neun Monate andauerte. Sie ist um nichts in der Welt bereit, den Namen dieses „Einzigen“ preiszugeben. Als der gemeinsame Freund Claude zufällig anruft, um Jeanne zum Tennisspielen aufzufordern, wittert Maxime seine Chance und lädt ihn kurzerhand zum Mittagessen ein. Das lockere Lunch zu dritt entwickelt sich zunehmend zum Kreuzverhör rund um Maximes immer drängendere Frage: Wer war es?
Mit: Eva Patricia Dietrich, Christoph Heusser, René Sydow
Regie: Johanna Hasse
Bühne & Kostüme: Anita Fuchs
Licht & Technik: Tobias Helferich, Alex Stoer
// Presse
Wie es dazu gekommen ist, dass sie sich diese Frage stellen, weiß man nicht. Leicht vorstellbar jedoch, dass sie schon länger in beider Köpfe herumgespukt ist. Wie oft hast du mich betrogen und mit wem? Dabei ist es dem französischen Boulevard geschuldet, dass die „Tatsache, dass“ vorn vornherein als selbstverständlich vorausgesetzt wird. Aber auch sonst ist Eric Assous’ Komödie „Illusionen einer Ehe“ im besten Sinne französisch: raffiniert, intelligent, nonchalante und unverschämt spielerisch. Hier geht es nicht um Moral, sondern um die Frage: Wer hält die Wahrheit besser aus? Und zwar unter Wahrung der Contenance, bitteschön.
Unter diesen verschärften Bedingungen spielt sich die Aufklärungsarbeit zwischen Jeanne (Eva Patricia Dietrich) und Maxime (René Sydow) ab, den beiden Eheleuten, die aus unerfindlichen Gründen meinen, den seligen Zustand des Nichtwissens durch den unseligen vermeintlichen Wissens ersetzen zu müssen. Dass die Wahrheit im alltäglichen Leben der Menschen eine relative Angelegenheit ist, darüber lässt die Inszenierung von Johanna Hasse von vornherein keinen Zweifel. Maxime gibt ein glattes Dutzend Fehltritte zu, ob’s nicht doch noch ein paar mehr sind – René Sydow lässt das auf sprechende Weise offen. Aber auf den einen oder anderen mehr kommt es ohnehin nicht an, denn Jeanne wird er damit nicht toppen können. Sie bringt es gerade mal auf einen Liebhaber. Im Gegensatz zu ihrem Mann, der fast nur One-Night-Stands vorzuweisen hat und Sex für ein überschätztes Konzept hält, hatte sie eine richtige Liebschaft. Neun Monate lang. Da liegt in der Tat die Frage nahe, ob das vielleicht schon Liebe war. Und dann die Frage: Wer war er?
Da klingelt das Telefon und Claude kommt ins Spiel, der beste Freund des Hauses. Mit Christoph Heusser betritt das Gegenkonzept zu Maxime den Bühnenraum, der als Sinnbild für eheliches Stühlerücken mit zahlreichen solcher Sitzgelegenheiten ausgestattet ist. Er ist der Sensible, der Erfolglose, von dem sich sowohl der Chef als auch die Frau getrennt haben, wobei letztere durchaus noch präsent ist. Solch ein Verlierer kann jedoch das gewisse Etwas besitzen. Und, wie Jeanne ihn zuweilen anschaut, kommt einem das Sprichwort von den stillen, aber tiefen Wassern in den Sinn. Bei Christoph Heusser denkbar. Maxime jedenfalls ist bald von der Gewissheit besessen, dass sein Freund mit seiner Frau… Das schlimmstmögliche Szenario.
Es wird aber noch schlimmer kommen, was der Inszenierung noch lange nicht den Esprit nimmt, sondern stattdessen Gelegenheit gibt, ein bisschen in ihre Menschen hinein blicken zu lassen. Dann, wenn die Wahrheit an die Oberfläche gelangt, die eigentlich keiner hören will und die beide Seiten erschüttert zurücklassen. René Sydow, der bis dahin die Inszenierung mit Tempo versorgt hat, zeigt da eine ganz andere Seite seines unsteten Maxime. Für einen Moment erkennt er sich selbst, und eine große Fassungslosigkeit ergreift ihn. Was wäre alle Spielerei, wenn sie nicht durch solche Szenen geerdet würde. Und was wäre französisches Boulevard ohne den Spritzer Philosophie, die sich hier so zuspitzen ließe: Die Wahl zwischen Wissen oder Nichtwissen ist ungefähr so wie die zwischen Pest und Cholera. Ein erfrischend erhellender Theaterabend. Südkurier, 5. Juni 2012